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Medienmitteilung

Expressionismus aus den Bergen - Kirchner, Bauknecht, Wiegers und die Gruppe Rot-Blau

Faszinierende Bergwelt und inspirierende Künstlerfreundschaften

Erstmals wird in umfassender Weise mit über 160 Werken - Gemälden, Holzskulpturen und Arbeiten auf Papier - der intensive künstlerische und menschliche Austausch zwischen Ernst Ludwig Kirchner und einer Reihe jüngeren Künstlern in den zwanziger Jahren veranschaulicht. Rund 55 Arbeiten Kirchners werden Werken von Philipp Bauknecht, Jan Wiegers, Albert Müller, Hermann Scherer und Paul Camenisch gegenübergestellt.

Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938) war 1917 schwer krank, vom Militärdienst traumatisiert und von Existenzängsten geplagt nach Davos gekommen, wo er seinen in Dresden und Berlin entwickelten Expressionismus auf die Darstellung der Bündner Bergwelt übertrug. Die Ursprünglichkeit der Menschen und der ihn umgebenden Bergwelt faszinierten Kirchner. Die Berge wurden zum Ort  der körperlichen und geistigen Erneuerung und neu gewonnener Freiheit.

1920 befreundete sich Kirchner mit dem Deutschen Philipp Bauknecht (1884-1933), der seit 1910 als Tuberkulosepatient in Davos lebte und hier zu einer eigenwilligen expressionistischen Malweise mit starken Farben gefunden hatte. Neben dem verwandten Stil verband die beiden Künstler der Wille, die alpine Landschaft und das Leben der Bergbauern in monumentalen Bildern zu verewigen. Auch der Holländer Jan Wiegers (1893-1959) kam 1920 wegen eines Lungenleidens aus Groningen nach Davos und freundete sich mit Kirchner an. Er fand in Kirchner einen Geistesverwandten. Er adaptierte dessen Technik und Formensprache und vermittelte nach seiner Rückkehr 1921 die Grundlagen des Kirchnerschen Expressionismus seinen Freunden der Groninger Künstlergruppe «De Ploeg». In mehreren Reisen nach Davos 1925/26 erneuerte Wiegers den künstlerischen Dialog mit Kirchner und blieb ihm bis zu dessen Tod freundschaftlich verbunden.

Anlässlich seiner Ausstellung in der Kunsthalle Basel lernte Kirchner im Juni 1923 die jungen Basler Künstler Hermann Scherer (1893-1927) und Albert Müller (1897-1926) kennen, die ihn in der Folge mehrmals für längere Arbeitsaufenthalte in Davos aufsuchten. In der Neujahrsnacht 1924/25 gründeten sie gemeinsam mit Paul Camenisch (1893-1970) die Künstlergruppe «Rot-Blau», die in ihrer kurzen, aber turbulenten Geschichte den wichtigsten Beitrag zum Schweizer Expressionismus liefern sollte. Durch die Begegnung mit Kirchner fanden Scherer und Müller zu ihrer kongenialen Bildsprache, die unverkennbar von der Kunst ihres Mentors ausgeht, aber dennoch eine je ganz eigenständige Prägung besitzt. So schuf der gelernte Steinbildhauer Scherer auf Kirchners Anregung eine eindrückliche Serie von Holzskulpturen, die zu den Höhepunkten der Ausstellung zählt. Auch Kirchner selbst erhielt neue Impulse durch die Zusammenarbeit mit den jungen Schweizern, die ihm nicht zuletzt einen Ausweg aus seiner künstlerischen Isolation im Davoser Exil boten. Kirchner hegte die Hoffnung auf die Entstehung einer künstlerischen Gemeinschaft, als deren Mentor und Mittelpunkt  er sich selbst betrachtete. Doch gleichzeitig befürchtete er, von seinen «Schülern» ausgenutzt und überflügelt zu werden. Er wollte nicht, dass seine formalen Errungenschaften kopiert würden und dadurch ein Teil des ihm zustehenden Ruhms auf seine Weggefährten abfallen könnte. So war es letztlich Kirchner selbst, dem eine echte Gemeinschaft mit seinen «Schülern» nicht behagte. Der frühe Tod von Müller und Scherer 1926 bzw. 1927 setzte ihrer Beziehung dann ein jähes Ende.

Durch eine thematische Gliederung der Exponate werden die Analogien, aber auch die Unterschiede im Schaffen der sechs Künstler aufgezeigt, die nicht selten Seite an Seite nach denselben Motiven arbeiteten. Neben der Davoser Landschaft und dem Leben der Bergbauern war der Akt ein zentrales Thema, besonders die Darstellung von sich frei bewegenden nackten Menschen in den Wäldern und Bachtobeln um Kirchners Haus. Daneben porträtierten sich die Künstler gegenseitig in vielen Selbst-, Einzel- und Gruppenbildnissen, die bis heute von ihrer persönlichen Verbundenheit zeugen. Einen weiteren Themenbereich und zugleich Kontrapunkt zur alpinen Szenerie stellt die Landschaft des Mendrisiotto dar, wo sich die «Rot-Blau»-Künstler regelmässig aufhielten oder - wie im Falle Müllers - ihren Wohnsitz hatten.

Die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit dem Groninger Museum Groningen und dem Bündner Kunstmuseum Chur, wo sie anschliessend zu sehen sein wird. Ein gemeinsam produzierter Katalog, der im Verlag Scheidegger & Spiess erscheint, beleuchtet den Dialog zwischen Kirchner und seinen Künstlerfreunden unter allen Aspekten.