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Exhibitions 14.04.2011 – 07.05.2011

Kunstmuseum Bern @ PROGR: Ingrid Wildi Merino

Als Ergänzung zur Ausstellung > DISLOCACIÓN. Kulturelle Verortung in Zeiten der Globalisierung präsentiert das Kunstmuseum Bern im PROGR die Videoarbeit ¿Aquí vive la Señora Eliana M…? (Wo wohnt Frau Eliana M...?) der Schweizer-chilenischen Künstlerin Ingrid Wildi Merino. Dieses ist der Vorläufer zum gleichzeitig im Kunstmuseum Bern gezeigten neuen Werk Arica y Norte de Chile – No lugar y lugar de todos (Arica und der Norden Chiles – Nicht-Ort und Ort für alle).

Fragmente verschiedener Interviews folgen in dialektischer Anordnung aufeinander. Es sind dokumentierte Momente der Künstlerin auf der Suche nach ihrer Mutter Eliana Merino, welche im Norden Chiles in Arica lebt. Gleich zu Beginn wird deutlich, dass die Künstlerin ihre Mutter – eine bekannte Wahrsagerin – findet. Man sieht sie zu Beginn des Filmes, als sie über ihre Gabe spricht. Die ältere Dame sitzt am Rande eines Bettes, streicht ihre Strickjacke glatt und sagt: «Ich sagte auch die Berliner Mauer voraus. Fünf Jahre bevor es geschah.» Mit diesen beiläufig gesprochenen Worten beginnt die abenteuerliche Reise vom Zentrum an den Rand Chiles. In ihrem 68-minütigen Video interviewt Ingrid Wildi Merino Bekannte und Verwandte auf der Suche nach ihrer Mutter, mit der sie nach ihrer Migration in die Schweiz, 1981, allen Kontakt verloren hat. Die Kamera folgt aus grosser Nähe, doch verliert sie nie die letzte Distanz zum Gefilmten. Spannung entsteht durch die Neugier, welche die Interviewten mit ihren Erlebnissen und erzählten Alltagsgeschichten wecken. Durch die Suche nach der Mutter entsteht auch ein subjektives Porträt der chilenischen Gesellschaft nach der Diktatur.
Das Video der Künstlerin verknüpft die losen Enden der Familiengeschichte mit der unaufgearbeiteten Geschichte Chiles. So erzählt Wildi Merinos Grossmutter von der Migration der eigenen Familie. Ein Kunstkritiker analysiert die Tendenz der Chilenen, ihre Herkunft zu verdrängen, während ein Onkel der Künstlerin seinen Beruf als Anästhesist als Metapher für das typisch chilenische Bedürfnis begreift, die eigene Geschichte zu vergessen. Eine Tante hingegen folgert aus persönlichen parapsychologischen Erfahrungen auf weitere Realitätsebenen, welche dem Auge normalerweise verborgen sind. So begleiten unsichtbare Ereignisse und Kräfte die Reise der Videokünstlerin auf ihrer Suche nach der Mutter. Das Video endet an der Schwelle zur letzten Türe, an welche die Künstlerin klopft und somit die Frage in den Raum stellt, welche der erzählten oder verschwiegenen Ge-schichten die Mutter nun eigentlich lokalisiert und am treffendsten charakterisiert?Der Film, der sich gleichermassen aus Erinnerungen wie aus Vorhersagen zusammensetzt, bleibt die letzte Antwort schuldig. Denn der Film selbst ist die Antwort. Wildi Merino nutzt dokumentarische Strategien, um die Menschen selbst zu Wort kommen zu lassen. Ihr Videoessay setzt sich aus Begegnungen mit Leuten zusammen, aus der Beschäftigung mit deren Annahmen und Ansichten. Ihre Fragen sind präzise, doch lassen sie genügend Raum für Abschweifungen und persönliche Ansichten. Aufgrund ihrer eigenen Geschichte als Migrantin zwischen Lateinamerika und Europa, zwischen den Sprachen Deutsch, Französisch und Spanisch wandernd, bewegt sich Wildi Merino auch als Künstlerin zwischen verschiedenen Erzählweisen und Realitätsebenen. Fiktion und Realität lassen sich schlecht unterscheiden und gehen ineinander über. Durch diese Mischform mit seinen Lücken und Brüchen entsteht ein letztlich wahrhaftigeres Bild der vermissten Mutter und der Geschichte Chiles.
Ingrid Wildi Merino
1963 geboren in Santiago de Chile; 1981 Emigration in die Schweiz Bildende Künstlerin und Dozentin an der Haute école d’art et de design Genève. Dozentin im Masterstudiengang Szenische Praxis und Visuelle Künste in Madrid; Postgraduiertenlehrgang an der Universität Alcalá in Kooperation mit dem Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, der Casa Encendida, dem Matadero und dem British Council in Madrid. Lebt und arbeitet in Biel und Genf.
Kunstmuseum Bern @ PROGR
Als Zeichen der Unterstützung des blühenden Kulturzentrums PROGR, aber auch als Chance, einem jüngeren und eher an Off-Spaces orien-tierten Publikum unser kulturelles Angebot näherzubringen, unterhält die Abteilung Gegenwart des Kunstmuseums Bern ab 18. November 2010 ein Schaufenster im PROGR. Gleich anschliessend an die Räume der Stadtgalerie befindet sich der ca. 55 m2 grosse Raum des Kunstmuseums, der während denselben Öffnungszeiten wie die Stadtgalerie – nämlich bis auf Weiteres von Donnerstag bis Samstag 14 bis 18 Uhr – zu besichtigen ist. In lockerer Abfolge werden darin Werke aus der Sammlung Gegenwartskunst des Kunstmu-seums präsentiert und sind Künstler und Künstlerinnen mit ihren Beiträgen, die ihn losen Zusammenhang zum Ausstellungsprogramm im „Mutterhaus“ stehen, zu Gast.